Frau Gellert hat Kopfweh
- metuw7
- vor 5 Tagen
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Aktualisiert: vor 4 Tagen
Vier Seiten des Menschseins
Die vier Seiten des Menschseins zeigen sich am deutlichsten, wenn der Mensch sehr jung und vor allem wenn er sehr alt ist. Die seelische, körperliche, spirituelle und die Seite der Beziehungen treten im hohen Alter gleichwertig nebeneinander.
Gemeinhin nehmen wir nur die körperliche Seite ernst, das hat die Corona-Krise vor Augen geführt. Die übrigen Ebenen werden in der Regel ihr untergeordnet oder - auch das hat die Corona-Krise gezeigt - gänzlich missachtet. Diese Hierarchisierung funktioniert in der Realität allerdings nicht. Die Ebenen des Menschseins sind miteinander verbunden. Sie fließen ineinander und bedingen sich.
Frau Gellert hat Kopfweh
So wie bei Frau Gellert. Wenn sich Frau Gellert über ihr hohes Alter äußert, klingt sie überrascht, entrüstet, aber vor allem leidgeplagt. Sie hat so viele Schmerzen wie Wochentage. Jeden Tag beschäftigt sie ein anderes Leid. Und das wiederum beschäftigt andere.
Als Pflegende und Begleitende wissen wir, dass es genau darum geht: Dass wir uns mit ihr beschäftigen. Doch wäre es falsch, Frau Gellert pures Aufmerksamkeitsheischen zu unterstellen, denn die Schmerzen sind nicht eingebildet. Sie sind real. Frau Gellert hat Kopfweh. Sie leidet unter Rückenschmerzen, Schlaflosigkeit, sie hat Beschwerden in Händen und Füssen. Magenprobleme suchen sie heim, Schwindel, ein Druck auf der Brust. Doch leidet sie ebenso an Verlassenheit, an der Not der Erinnerung und der Frage, wofür der Herrgott sie überhaupt noch leben lässt. Dazu kommt die Untätigkeit; Langeweile steigert den Schmerz.
Der fortgesetzte Schmerz
Der Schmerz bläst ihr durch Leib und Seele. Er ist ein scharfer Wind, von dem man tatsächlich nicht weiß, woher er kommt. Was tut mehr weh, der Kopf oder die Seele? Bedarfsmedikation hilft nicht, wenn einen der Herrgott selbst im Stich lässt.
“Ein gutes Wort”, klagt sie, als sie die Tablette schluckt, nach der sie verlangt hat. Wenn man doch nur ein gutes Wort für sie übrig hätte. Dieses gute Wort braucht sie von den Kindern, die sie besuchen, aber immer zu selten. Sie braucht es von uns, wenn sie ununterbrochen ihr Unglück bejammert. Sie bräuchte es vom Herrgott, doch von dem erwartet sie eigentlich nichts mehr. Die Tablette hilft, sie lindert das Kopfweh. Aber der Schmerz wird fortgesetzt.


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