top of page

Herr Wegener liegt im falschen Bett

  • metuw7
  • vor 1 Tag
  • 2 Min. Lesezeit

ree

Herr Wegener hat sich ins falsche Bett gelegt. Gespornt und gestiefelt liegt er in Herrn Grosz Laken. Der ist  fassungslos und empört, kann es aber nicht ausdrücken. Die Aufregung verscheucht die  wenigen Worte, auf die er noch zurückgreifen kann. 


Dementieller Alltag. Herr Wegener, der sich trotz Namensschild und Blumenaufklebern in Signalfarben an sein Zimmer nicht erinnert. Herr Grosz, der immerhin sein Zimmer findet, aber keine Worte mehr. Zimmer, Betten, Mahlzeiten und Tageszeiten versickern, Namen verschwimmen, Tote werden lebendig, Lebende vergessen. 


Alles verliert sich. Der Mensch selbst will es nicht wahrhaben, hält sich am Gewohnten fest wie ein Schiffbrüchiger an der Planke. Kleinigkeiten gewinnen  phänomenale Bedeutung. Ein Leben ohne Kaffeelöffel auf dem Tisch ist nicht vorstellbar. Die Zeitung, wiewohl den ganzen Tag unberührt, muss daneben liegen. 


Die Angehörigen erkennen meistens zuerst, dass etwas nicht stimmt. In ihrem Schrecken versuchen sie den Menschen wachzurütteln aus der beginnenden Demenz. Sie schimpfen über den Kaffeelöffel. Sie bestellen die Zeitung ab oder werfen ungefragt den völlig verfleckten Lieblingspullover in die Wäsche. Die Dinge nehmen ihren Lauf. Es ist ein Trauerspiel. Beide trauern, der Mensch, seine Angehörigen, von verschiedenen Orten aus.


Das kann lange gehen, Demenz hat keinen Zeitplan. Das  Beste ist wohl, die Trauer zuzulassen und - so paradox es klingt -  in ihr heimisch zu werden.  Was man sieht, wenn man sich trauern lässt, ist, dass  der gekannte Mensch geht, aber der Mensch ist noch da. Demenz ist eine Übung ins Unabsehbare. Und in den Augenblick.


Ab einem Punkt wird in der Demenz alles unmittelbar. Alles ist jetzt. Das gelebte, gewirkte Leben tritt ganz zurück. Und kann das nicht auch eine Erleichterung sein? Mit Erstaunen stellt man fest, dass die Verbindung zum alten Vater oder der alten Mutter leichter wird ohne das Gebirge der Biografie. Dann wird die Trauer um den schwindenden Geist des Menschen eine Möglichkeit. Genau genommen kann sie erst  durch die Trauer zur Möglichkeit werden. Aber das bedarf der Entscheidung. Und des Mutes. 



 
 
 

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

+49 (0) 1573 155 94 19

Kontakt: Uwe Metz / Ditzenbrunner Str. 12 / 71254 Ditzingen / Email / mobil

Follow us on Instagram

bottom of page