Das Recht des Weiseren
- metuw7
- 20. März
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Aktualisiert: 23. März

Wenn Menschen Gedanken fehlen, Geschichten, aber auch anderer Menschen, die Dinge vormachen, sind sie außer Stande, Lösungen überhaupt auch nur denken zu können, meint die Neurowissenschaftlerin Maren Urner. Lösungen denken können - wie alle Erzählungen gewähren dies einem auch die biblischen Sagen und Legenden. Man fügt die eigenen Wege und Entschlüsse ins Gewebe einer Geschichte und nimmt den so bearbeiteten Faden in der eigenen Lebensgeschichte wieder aufzunehmen. Die Erzählung der Trennung von Abram und Lot aus der Genesis (1. Mo. 13) ist dafür ein gutes Beispiel. Sie macht aber zugleich auch auf die Grenze dieser Methode aufmerksam.
Abram - zu diesem Zeitpunkt wird von ihm noch in dieser Variation seines Namens erzählt - war nach einem kuriosen, abenteuerlichen Aufenthalt in Ägypten sehr reich geworden. Nach den nomadischen Standards jener Zeit galt derjenige als reich, der Viehherden und Gefolgte sein eigen nannte. Abram besaß auch Gold und Silber. Aber da sich Edelmetalle nicht auf eigenen Füßen, sondern nur auf fremden fortbewegen, stellte dies den eher unpraktischen Teil seines Reichtums dar.
Lot, sein Neffe hatte an dieser erfreulichen Entwicklung teil, und auch er wurde ein wohlhabender Herr über Herden, Knechte und Diener. Irgendwann kam es jedoch zum Streit zwischen den Angestellten der Familien. Denn das Land, in dem sie von Weide zu Weide zogen, war zu klein, um Mensch und Vieh beider ausreichend zu versorgen, abgesehen davon, dass sich noch Einheimische in ihren angestammten Wohnstätten aufhielten und es nicht in Betracht zogen, Platz zu machen (ein Umstand, der noch heute die Kinder Abrahams beschäftigt). So konnte es nicht weitergehen! Abram entschloss sich, das Ganze zur Sprache zu bringen und eine Trennung vorzuschlagen
Rechtzeitig
Das ist die erste Weisheit, die uns die Geschichte zuteil werden lässt. Eine Trennung kann heilsam sein, wenn sie rechtzeitig vollzogen wird. Das sagt sich freilich leichter als es ist, denn es bedarf Reife und Erfahrung, diese Rechtzeitigkeit zu erkennen. Abram wird hier als ein solch weitsichtiger Mann dargestellt. Er stand mit Lot auf so vertrautem Fuß, dass sie ihre Angelegenheiten besprechen konnten. Die beiden würden sich trennen, aber nicht im Streit. Das heißt, die grundsätzliche Verbindung zwischen ihnen blieb erhalten. Trennung bedeutet also nicht zwangsläufig Auflösung. Im Gegenteil, eine Trennung zum richtigen Zeitpunkt kann eben das verhindern.
Die Modalitäten waren indes ungewöhnlich: Abram stellt seinem Neffen die Auswahl frei. "Willst du nach links, gehe ich nach rechts. Willst du aber nach rechts, dann gehe ich nach links." Lot traf seine Entscheidung postwendend: Er würde mit seiner Sippe in die nördlichen, fruchtbaren Ebenen der prosperierenden Städte Sodom und Gomorrha* ziehen, Abram ins nicht ganz so attraktive Kanaan.
Das Ungewöhnliche an Abrams Angebot nun ist, dass er sich nach Lots Entscheidung richtete, nicht umgekehrt. Abram war das Sippenoberhaupt. Lot, der Brudersohn hätte ihm selbstverständlich den Vortritt lassen müssen. Darauf verzichtet Abram. Weshalb?
Was nützt es, wenn ich bekomme, was ich will?
Der fromme Mensch wird vermuten, dass Abram zu solcher Großzügigkeit fähig gewesen sei, weil er halt ein frommer Mensch war. Das ist eine erbauliche Erklärung, die den hohen Wert der Frömmigkeit im Blick auf ein tugendhaftes Leben unterstreicht. Zieht man indes die Methode von Ockhams Rasiermesser in Betracht, nämlich dass eine reduzierte, einfachere Erklärung mit großer Wahrscheinlichkeit auch die hinreichendere ist, wird es wohl so sein, dass Abram deshalb umsichtig handelte, weil es eben genau das ist, was vom Oberhaupt einer Sippe erwartet wird. Abram könnte sich, den Blick gegen den grünen Norden und den steinigen Süden wendend, gefragt haben: "Was nützt es, wenn ich bekomme was ich will? Denn selbstverständlich wusste Abram ebenso wie sein vorwitziger Neffe, welches Teil das bessere der Abmachung war. Doch war ihm wohl auch bewusst, dass jemand, der nur aufs bessere Teil aus ist, keinen Gedanken an die Folgen verschwendet, sobald er es bekommen hat. Hätte Abram den Vorteil für sich beansprucht, hätte sich das Recht des Mächtigeren durchgesetzt. Zum Recht des Mächtigeren gehört allerdings auch, dass diejenigen, die unterliegen, nur darauf warten, es dem Mächtigen irgendwannheimzuzahlen. Denn in den Augen der Übervorteilten ist dieser Rechtsanspruch immer Unrecht. Was dazu führt, dass das Begehrte, sei's Bathseba, Kanzleramt oder Grönland, sich gegen einen wendet, sobald man es gewonnen hat. Im Lauf der Ereignisse ereilt Lot eben dieses Schicksal.
Das Recht des Weiseren
Nun hat sich das Recht des Mächtigeren noch nie als das Recht des Weisen erwiesen; die gegenwärtigen Zeiten unterstreichen diese betrübliche Tatsache. Abraham verkörpert in dieser Geschichte zwar einen solchen weisen Mächtigen, aber - und hier ist sie, die eingangs erwähnte Grenze - es ist eben "nur" eine Geschichte. Sie ist Ausdruck einer Alternative, eines Wunsches, einer hoffnungsvollen Erwartung, die seit biblischen Tagen noch auf Erfüllung wartet.
*Sodom und Gomorrha werden hier noch als über die Maßen fruchtbar, wie der "Garten des Herrn" und das "Land Ägypten" gerühmt, was Lots Entscheidung verständlich macht. Die Wahl erwies sich allerdings im Nachhinein, insbesondere für Lots Gemahlin als außerordentlich unglücklich.
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