Spiegelmomente
- metuw7
- 7. Mai
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Im Vorhof der Stiftshütte, dem heiligen Ort der Israeliten, befand sich das Kiyor. Das Kiyor war ein Waschbecken, das der rituellen Reinigung der Priester diente. Es bestand aus spiegelndem Bronzeblech (2.Mo. 38,8). Bei der Vorbereitung für die Begegnung mit Gott, beim Waschen des Gesichts sah der Priester also in sein Spiegelbild. Das ist ein faszinierender Aspekt. In dieser Phase des Gottesdienstes ist Gott noch ganz unbekannt, das heilige Zelt mit dem Allerheiligsten noch fern und unbetreten.
Gleichzeitig sagt einem das Reinigungsritual am Kiyor, dass man sich sich selbst auch unbekannt ist. Es verlangt nämlich, sich selbst in diesem Moment ins Gesicht zu sehen. Leicht ist das nicht. Nicht wegen irgendwelcher Gewissensnöte oder Sündenvermutungen. Sondern weil man in den Spiegelmomenten merkt, dass nicht nur Gott einem fern und rätselhaft ist, sondern man selbst auch. "Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?", schrieb Bonhoeffer. Das ist keine rhetorische Vorlage, damit er am Ende mit der frommen Feststellung kommen kann: "Dein bin ich, o Gott." Es ist das ehrliche, tägliche Rätsel.
Bild: analogicus, pixabay
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